Hans Feigenwinter, Pianist, Bänz Oester, Bassist, Norbert Pfammatter, Schlagzeuger

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Jazz'n'More

Pirmin Bossart, Mai 2020


FEIGENWINTER OESTER PFAMMATTER

Subtilitädt der Extraklasse
Wenn drei erfahrene und einander vertraute Musiker Stücke aus dem Standards-Kanon interpretieren, ist das oft aufregender, als wenn hippe Zeitgeist-Kreationen abgefeuert werden. Feigenwinter Oester Pfammatter transformieren auf ihrem neuen Album "The Edge" die Stücke mit Erfindungskraft und Subtilität zu gehaltvollen Instant-Originalen. Von Pirmin Bossart

Das Album wächst bei jedem Durchhören, weil man Details und Klanglichkeiten entdeckt, die einem viele Jazz-Piano-Trios in dieser Leichtigkeit und Raffinesse nicht so schnell bieten. Der Stoff, aus dem dieses Trio seine Musik macht, sind "Standards", zu denen neben bekannteren Stücken wie "Cherokee" (Ray Noble), "Central Park West" (John Coltrane) oder "Limehouse Blues" (Braham/Furber) auch überraschende Versionen von "The Eighth Veil" (Billy Strayhorn) oder das wunderbar reduzierte "Lawns" (Carla Bley) ihren Platz finden.

FÜLLE VON MÖGLICHKEITEN
"Warum nicht Standards?", sagt Schlagzeuger Norbert Pfammatter und meint: "Wenn Jazz eine Improvisationskunst ist, sind Standards auf jeden Fall ein interessantes Ausgangsmaterial." Ein Standard ist für ihn "kein Werk an sich, sondern mehr eine Fülle von Möglichkeiten und genau das mag ich daran". Zudem habe er eine lange persönliche Geschichte mit diesen Songs, die ihn sehr mit ihnen verbinde. Bassist Bänz Oester verbringt viel Zeit damit, Standards genau zu recherchieren. "Mich interessiert, wie die Melodie komponiert wurde, wie die Harmonisierung am Anfang war und wie sie sich in den Händen der Jazzmusiker entwickelt hat. Von dort aus sei für ihn alles möglich mit einem Stück, "ohne stilistische Einschränkungen".

Beschäftigt sich Pianist Hans Feigenwinter mit einem Standard, spielen für ihn Referenzaufnahmen aus der Jazzgeschichte selten eine Rolle. "Ich bin sogar froh, wenn mir von einem Stück gar keine solche zu Ohren kommen. Den Song 'Waltzin' habe ich einfach beim Stöbern in einem Songbook gefunden. Von seinem Komponisten hatte ich noch nie etwas gehört." Ein blosses Songsheet mit Text gewähre ihm den grösstmöglichen freien Zugang, sagt Feigenwinter. Manchmal katapultiert er ein Stück in eine neue Umgebung. "So haben wir das mit dem Limehouse Blues gemacht. Davon hatte ich nur schnelle Versionen gehört, vor allem aus der Swing-Zeit. Mir schwebte dann plötzlich ein mittleres Tempo vor mit einem Beat, der von Norbert gespielt wird."

AUSSORTIEREN STATT PROBEN
Das Frappante an diesem Trio ist, wie nuanciert und eigen sich die Musiker das Material einverleiben. Stehen da zahlreiche Proben dahinter? "Wir treffen uns, wir proben nicht", sagt Feigenwinter. Sie spielten jeweils dreimal so viele Stücke, wie sie dann mit auf die Bühne oder ins Studio nähmen. "Wenn wir zusammenkommen, sortieren wir vor allem aus." Bei diesen Sessions ist auch das Ungeplante dabei. "Es gibt kaum ein System, sagt Pfammatter. "Wir spielen und landen möglicherweise an einem interessanten Ort, dann gehen wir von dort aus weiter." Auch Oester betont, dass sich ein Stück jederzeit spontan in eine unvorhergesehene Richtung entwickeln könne. Bei eigenen Stücken habe er eher klare Vorstellungen, sagt Feigenwinter. Tunes aus dem Jazzkanon und Standards seien diesbezüglich fast schon das Gegenteil: "Sie ermöglichen alles. Und alles, was gut ist, ist willkommen. Erst recht Sachen, die wir nicht erwartet haben." Als besondere Qualität erkennt Feigenwinter bei diesem Trio, "dass es aus jedem der drei Musiker Dinge herausholt, die andere Konstellationen nicht aus uns herausholen und somit genau zu diesem Trio gehören. Daran arbeiten wir auch."

BALANCE – INDIVIDUUM – KOLLEKTIV
Das Fundament dieses Trios sind eine grosse Erfahrung und langjährige Vertrautheit. "Wir haben viel Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung, grosse Ohren und Herzen und kleine Egos", bringt es Oester auf den Punkt. Auch Pfammatter betont "die lange gemeinsame Geschichte und die tiefe Freundschaft bei aller Verschiedenheit". Feigenwinter schätzt an Oester "die Balance zwischen ihm als Individuum und als Teil des Kollektivs und an Pfammatter "seine tiefe Versenkung in jeden einzelnen Moment. 1996 haben sie das Trio gegründet, mit "Great American Songbook" (1999) und "Because You Knew (2002 ) zwei feine Alben veröffentlicht und auch eine Tour mit Joe Lovano absolviert. Nach einer längeren Pause melden sie sich nun mit "The Edge" zurück. Ein passender Name, reizen sie doch die Standards, vor allem aber auch das Zusammenspiel und die spontane Interaktion "bis zur Kante" aus. Es ist ein Album, dem man sich uneingeschränkt hingeben kann. Es hat einen eigenen Flow und strahlt bei allen subtilen Vitalitäten und Kühnheiten eine Ruhe aus, die wie eine Läuterung wirkt.